Asylpolitik Piratengedanken

Ein Plädoyer an die Moral, wie wir über Flüchtlinge sprechen und an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien

Gastbeitrag (Blog) von Maurice Conrad

Die Diskussion über das Sterben im Mittelmeer geht weiter. Und gerade jetzt wallt sie durch das jüngst in Malta an Land gegangene Schiff „Lifeline“ wieder auf. Zwischen Hetztiraden im Netz, zwischen solchen die das bloße „Ersaufen“ jedes einzelnen Geflohenen wünschen, zwischen solchen die in der Rettung von Menschenleben und dem Bewahren dieser vor dem sicheren Tod durch Ertrinken keine Notwendigkeit sondern eine Last sehen und zwischen solchen Kommentaren die das Retten eines Menschen in Not schlichtweg für Pflicht und Aufgabe jedes anderen auf See halten. Zwischen all diesen Meinungen spielt sich eine Diskussion ab, die an Faktenresistenz und Halbwissen ihres Gleichen sucht.

Dass wir es aus moralischen Sicht für eine Selbstverständlichkeit halten sollten, einem Menschen in Not, aus welchem Grund auch immer das Leben zu retten, ist die erste Ebene. Das ist eine Ebene die jeder persönlich teilen sollte aber es ist in dieser Diskussion, wenn es hart auf hart kommt, die unbedeutendste. Der wirklich wichtige Punkt ist, dass diese moralische Sicht längst aus der Position einer persönlichen Meinung heraus, hinein in eine der Gesetzgebung unseres wunderschönen Abendlandes inne wohnenden gelangt ist.
Jenseits dessen also, was für ein menschliches Arschloch man auch sein mag, sieht das Seerecht ganz klar die Rettung jedes Einzelnen in Seenot geratenen Menschen vor. Und nicht nur das Seerecht sieht eine solche Notwendigkeit vor. Auch das bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in der Bundesrepublik kennt den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung.

Selbstverständlich will ich nicht jedem selbsternannten Asylgegener oder Asylkritiker wie sich die Neue Rechte gerne nennt unterstellen,er lehne die bloße Rettung eines Menschen ab. Dieser moralische Grundsatz ist dann vielen Menschen noch so antrainiert, dass sie ihn mit Mühe und Not, dass sie ihn gerad noch so, dass sie ihn irgendwie doch noch gut finden.

Aber…

Es ist in etwa so, wie die AfD zu fragen, ob man gegen die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen sei. „Nein, das sei man natürlich nicht…“. „Aber…“. Am liebsten würden diese Menschen gar nicht erst von den Menschen wissen, die dort ihr Leben verlieren. Dann müssten sie auch nicht notgedrungen noch daran festhalten, dass man „die natürlich schon retten muss“. Es ist also weniger eine wirkliche, von Herzen kommende Moralvorstellung als eine notgedrungene Anpassung der Neuen Rechten um die so wichtige, wenn auch fadenscheinige, Gesellschaftsfähigkeit nicht zu verlieren mit denen man sich von den ganz Bösen abzusondern glaubt.
Aber allein die Tatsache, dass es heutzutage tausende Menschen zu geben scheint denen selbst dieser eigentlich indiskutable Grundsatz fremd ist, denen das „Ersaufen“von Menschenleben im Mittelmeer eigentlich völlig egal ist, denen eigentlich alles in der Welt egal ist, sofern es nicht an ihre Haustür klopft, sollte uns zu denken geben. Es sagt viel über die Art der Diskussion aus, in der wir angekommen sind.

Sprachliche Entmenschlichung

Die Menschen, die aus Kriegsgebieten oder wirtschaftlichen Notlagen Richtung Festung Europa kommen,werden in der gesamten Debatte zunehmend entmenschlicht.
Man versucht durch geschicktes Vokabular, durch die Schaffung einer vermeintlichen Bedrohung den Fokus von den Einzelschicksalen der Menschen abzuwenden und die Tatsache, dass 60 Millionen Menschen weltweit vor Hunger, bitterer Armut, Zukunftslosigkeit, Vertreibung, Terror, Krieg und dem sicheren Tod fliehen, auf emotionslose Begriffe wie „Flut“, „Masse“ oder „Strom“ herunterzubrechen.

Der Flüchtlingsstrom“, „Die Flüchtlingskrise“ oder „Asyltoutismus“ sind Wörter, deren Sinn und Zweck nicht darin liegt, die Lage und Situation der Flüchtlinge treffsicher zu beschreiben, sondern die Flüchtlingsbewegungen weltweit zu entmenschlichen, sie zu versachlichen, sie zu einem unkonkreten Etwas zu machen. Einem Etwas, dass es zu bekämpfen gilt. Einem Etwas, dass die Schicksale der Menschen verschleiern soll. Die Schicksale der Menschen aus denen dieses Etwas besteht sind an dieser Stelle zu emotionsbeladen schlicht lästig.

Nehmen wir z.B. das seit Jahren gängige Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“:
Auch hier wird der Fluchtgrund dieser Flüchtlinge, der zwar weder Krieg, Vertreibung oder der sichere Tod ist, dafür aber Hunger, anhaltende Perspektivlosigkeit oder Kriminalität, auf den oberflächlichen Begriff der „Wirtschaft“ heruntergebrochen. Wirtschaft, das ist für uns etwas oberflächlich ökonomisches, etwas was mal auf mal ab geht, nichts bedrohliches. Dass das, was wir bei diesen Menschen „Wirtschaft“nennen, ihr Hunger, ihre Unfähigkeit ihre Kinder zu ernähren, ihr schmutziges Wasser, ihre Chancenlosigkeit und ihre Umgebung von Kriminalität und Tod ist, wird durch den Begriff verdeckt. Sollten wir diese Menschen „Hungerflüchtlinge“, „Perspektivflüchtlinge“ oder „Ich-will-meine-Kinder-ernähren-Flüchtlinge“ nennen? Vielleicht ja. Aber mit dem Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ lässt sich das Elend dieser Menschen deutlich besser verdrängen.

Ohne die Autoren solcher Begriffe mit den Nationalsozialisten gleichzustellen, sollte betont werden, dass der ehemalige Reichspropagandaminsiter des 3. Reichs, Josef Göbbels, genau die gleichen sprachlichen Methoden angewandt hat um das Schicksal der Juden gesellschaftsfähig zu machen. Man musste damals weg vom Fokus auf dem einzelnen (meist jüdischen) Menschen (mit Hoffnungen, Ansichten, Geschichte und Idealen)hin zu einem sachlichen Etwas, einer zu bekämpfenden Bedrohung, einem einheitlichen Komplex. Selbstverständlich waren die damaligen Begrifflichkeit wie „Parasit“ oder ähnliche deutlich schwerer als „Asylflut“ oder „Wirtschaftsflüchtling“aber das von Markus Söder initiierte Wort „Asyltourimus“ geht gefährlich in diese Richtung. Söder stellt hier sprachlich einen auf der Flucht befindlichen Menschen im Verhalten mit einem Touristen gleich. Dass das mehr als falsch ist, sollte eigentlich jedem klar sein. Und erst durch diese Entmenschlichung der Einzelschicksale der Menschen wird es möglich, dass Menschen jegliche Empathie verlieren und ihnen das Erinken von Menschenleben eigentlich egal wird.

Aber genau an dieser Stelle, wenn eine moralische Ebene gar nicht mehr die gesamte Gesellschaft erreichen kann, greift, die nächste statische und eindeutige Ebene. Nämlich die des Rechts, der Vereinbarungen und Konventionen. Die des Rechtsstaats.
Und das ist der eigentliche Punkt. Sie können also ein wirklich großes Arschloch sein, ihnen könnte das Schicksaal ertrinkender Menschen völlig schnurzpiepegal sein, es gibt aber geltendes Seerecht, geltendes Völkerrecht und geltendes Menschenrecht. Und diese gelten nicht nur für linksrotgrüneversiffte MERKEL-SPD-GRÜNE-LINKE-ANTIFA-Systemlings-Kommunisten-Gutmenschen sondern für uns alle. Und der Sinn und Zweck des „Geltens“ dieser Gesetze in einem Rechtsstaat ist es nicht, dass sie im Gesetzbuch so hübsch anzusehen wären sondern, wer hätte es gedacht, dass wir uns an sie halten und nach ihnen handeln.

Rechtsstaatliche Prinzipien bedeuten, dass sich an geltendes Gesetz und Recht gehalten wird. Unabhängig davon ob man gerade schlecht drauf ist, etwas falsches gegessen, das „C“ im Parteinamen vergessen hat oder der Meinung ist, Wähler an die AfD zu verlieren und eine vermeintliche offene rechte Flanke schließen zu müssen. Sie bedeuten auch, die neutrale und bedingungslose Achtung von Menschenrechten und allen anderen bindenden Konventionen in Europa. Und sowohl das internationale Seerecht als auch die Genfer Flüchtlingskonventionen sind solche bindenden Verträge.

Oftmals scheint es aber das Missverständnis zu geben, derlei Vereinbaren wie die ebene benannten GFK, das Seerecht oder gar die Menschenrechte seien eine Art Debattierclub.Man macht mit, wenn man grade Lust drauf hat. Das mag vielleicht aus Sicht von autokratischen Staaten wie der Türkei, Russland oder Nordkorea so sein, bis dato verfolgen wir in Deutschland aber noch das etwas almodische Konzept eines Rechtsstaats.
Sinn und Zweck eines Vertrages ist tatsächlich dessen Einhaltung. Andernfalls könnten wir das Konzept „Vertrag“ auch gleich lassen.

Der „sichere“ Hafen

Das ist die Ebene auf der wir spätestens alle diskutieren sollten. Und doch gibt es ein weiteres elementares Missverständnis. Immer öfter findet auch im politischen Diksurs, ob in Form von NPD, AfD & CSU oder in den Kommentarspalten dieser Welt in denen der selbsternannte „besorgte Bürger“ mit Halbwissen um sich schmeißt, die Gleichsetzung der NGO’s mit Schleppern statt. Der Vorwurf rührt daher, weil diese oft statt einen nahegelegenen nordafrikanischen einen europäischen Hafen ansteuern. Das internationale Seerecht, so eine weitverbreitete Meinung, sähe nämlich die Überführung eines Geretteten an den „nächsten Hafen“ vor, welcher zweifelsfrei kein europäischer sein muss.
Dass in den meisten Fällen ein Hafen in Nordafrika oder Libyen näher liegen wird, als ein europäischer ist sicherlich keine große mathematische Herausforderung. Doch dieser Darstellung liegen einige grundlegende Fehler zugrunde.

1. Das internationale Seerecht sieht nicht den „nächsten“ sondern den „nächsten sicheren“ Hafen für einen in Seenot geretteten Menschen vor. Was zunächst für den ein oder anderen besorgten Bürger gleich klingen mag unterscheidet sich durch das Adjektiv „sicher“ welches hier eine beschreibende und damit einschränkende Wirkung auf die Bedeutung „Hafen“ inne hat. Hier nochmal nachzuschlagen: Sicher& Adjektiv

2. Seerechtliche Normen wie die eines „sicheren Hafen“ sind im Fall von in Seenot geratenen Flüchtlingen in Zusammenhang mit den Genfer Flüchtlingskonventionen auszulegen. Wer sich also jetzt nicht zu fein ist, sich mit den geltenden Gesetzen der GFK auseinanderzusetzen (was selbstverständlich sein sollte, wenn man darüber diskutiert) wird früher oder später auf § 3, Absatz 1 stoßen. Dieser verbietet die Aus- oder Zurückweisung eines Flüchtlings in Gebiete in welchen „[…] sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde“. Genau das ist dann in den „MSC Guidelines on the treatment of persons rescued at sea“ nochmal so festgelegt worden. Dort steht also, dass einem in Seenot geretteten Menschen in einem Hafen sowohl keine Gefahren drohen dürfen als auch dass dort seine Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken oder ein Dach über dem Kopf gesichert sein müssen. Jetzt kann man natürlich behaupten, dass das in den Häfen der afrikanischen Transitstaaten der Fall wäre. Oder man schaut sich die tatsächliche Lage vor Ort an und stellt fest, dass diese Bedingungen nicht gegeben sind. Beides Möglichkeiten. Wer allerdings auf Fakten- und nicht auf Gefühlsbasis argumentieren möchte, der sollte sich dann tatsächlich doch mal über die akute Lage informieren.

Wer jetzt noch grundlegende Auffassungsgabe besitzt wird feststellen, dass ein Hafen welcher diese Anforderungen nicht erfüllen kann, nach den oben benannten „MSC Guidelines on the treatment of persons rescued at sea“, die sich ihrerseits aus den Genfer Flüchtlingskonventionen ableiten, kein „sicherer Hafen“ sondern allenfalls ein „Hafen“ sein kann.
Wer jetzt noch das Erinnerungsvermögen einer Fliege überbieten kann, wird sich vielleicht noch dunkel daran erinnern können, dass das internationale Seerecht für in Seenot gerettete Menschen nicht einen „Hafen“ sondern speziell einen „sicheren Hafen“ definiert. Wir erinnern uns. Die Sache mit dem Adjektiv. Und sofern wir davon ausgehen, dass die Autoren jenes internationalen Seerechts das Adjektiv „sicher“ dort nicht eingefügt haben, weil es so schön aussah, sondern weil sie damit etwas aussagen wollten, sollte dieses Wort auch weiterhin eine Rolle spielen.

Wer jetzt allerdings glaubt, die Häfen der Transitländer Nordafrikas würden die Bedingungen der „MSC Guidelines on the treatment of persons rescued at sea“ und den Genfer Flüchtlingskonventionen erfüllen, dem lege ich eine einfache Google Recherche über die Zustände in den dortigen Flüchtlingslagern in welche an den Häfen ankommende Flüchtlinge zweifelsfrei gebracht werden, nahe.
Für all diejenigen, denen eine einfache Google-Recherche allerdings zu viele Klicks und zu viel Eigeninitiative bedeutet, hier nochmal eine kleine Erklärung.

Human Rights Watch (das ist diese linksgrünversiffte-merkel-gesteuerte Organisation die sich um die Einhaltung der lästigen Menschenrechte kümmert) berichtete bereits 2014 dass Flüchtlinge in Libyen nicht nur unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten werden sondern auch noch Opfer von Folter und Misshandlungen werden. Kein Wunder, das Land hat die Genfer Flüchtlingskonventionen im Übrigen auch nicht unterschrieben.

In Ägypten leben Flüchtlinge in bitterer Not und sind regelmäßig Opfer von Hass und Gewalt. So weit, dass einige insgesamt 130.000 registrierten Flüchtlinge immer wieder in den Hungerstreik gegen die Bedingungen und die Zustände treten. Überall in Ägypten werden neben der Einschränkung von Grundrechten, Menschenrechtsorganisationen eingeschüchtert und politische Aktivisten verfolgt. Davon sitzen in Ägypten über 20.000 politische Gefangene in Haft und auch Flüchtlinge werden immer wieder grundlos inhaftiert.

All das wurde bereits vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte genau so abgehandelt. 2012 hat der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) im Hirsi-Urteil bestätigt, dass eine Rückschiebung von Menschen von Italien nach Libyen im Widerspruch zum Völkerrecht sowie § 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention steht, da diese Menschen in Libyen unmenschliche Behandlungen sowie Folter drohen.
An dieser Stelle sei nochmal betont, dass es sich dabei um einen Gerichtshof handelt, dessen Interesse nicht darin liegt, linksgrünversiffte-Merkel-Kommunisten Gutmenschen aus Berlin Mitte zu befriedigen sondern den geltendes EU-Recht nach rechtsstaatlichen Prinzipien zu achten und Verstöße gegen Recht und Ordnung zu ahnden. In diesem besonderen Fall die Bewahrung und Einhaltung der Menschenrechte.

Wenn es heute also schon „links“ ist, die Einhaltung von Seerecht, den Genfer Flüchtlingskonventionen oder den Menschenrechten, also hier geltendem Recht, zu fordern, haben wir alle ein Problem. Und dann bin ich gerne „links“. Ich stehe als Verfechter des Rechtsstaat schlichtweg für die Einhaltung und Achtung unseres Rechtsstaats und Normen. Und mit diesen ist eine Seenotrettung wie von AfD, CSU Sympathisanten oder sonstigen selbsternannten „besorgten Bürgern“ gefordert, nicht kompatibel.
Parteien, die sich also in jüngster Öffentlichkeit nur zu gerne als „Parteien des Rechtsstaats“ inszeniert haben wie CSU oder AfD sollten demnach die Idee, in Seenot gerettete Menschen zurück in Länder wie Libyen, Tunesien oder Ägypten aufgrund der Unvereinbarkeit mit Seerecht sowie den Genfer Flüchtlingskonventionen eigentlich verurteilen. Zumindest wenn sie das mit dem „Rechtsstaat“ erst meinen.

Quellen: