Ein Gastbeitrag von Jürgen Grothof.
Um es vorweg zu nehmen – ich stamme aus der Generation, bei der zu Demos in Hannover, Bonn oder Wackersdorf jeweils über 100.000 Menschen gegen Kernkraftwerke, Atommülllager und Wiederaufbereitungsanlagen demonstrierten. Die Organisation dieser Demos musste ohne Handys, Internet, WhatsApp und Facebook geschehen, war also wesentlich schwieriger als heute. Jetzt lebe ich im Jahr 2015. „Atomkraft – Nein Danke“ ist heute ein durch alle Gesellschaften akzeptierter Slogan, aber es gibt andere, „neue Gefahren“, die unsere Gesellschaft bedrohen.
Es ist nicht die fassbare Gefahr einer Reaktorkatastrophe – was heute passiert, finde ich weitaus schlimmer. Es ist der direkte Angriff auf unsere Privatsphäre. Wir werden beobachtet, gelenkt und – für viele unmerklich – in vorgezeichnete Bahnen geschoben und gezogen. Menschenrechte, die aus gutem Grund im Grundgesetz, aber auch in der UN-Charta ganz oben stehen, werden abgebaut oder ignoriert. Dies ist keine Bedrohung für die Menschen einer Region wie bei einem AKW, dies ist die Bedrohung aller Menschen in Deutschland und darüber hinaus.
Mit diesem Wissen und auch der nötigen Wut gegen die Herrschenden bin ich also am Samstag (30.06.2015) nach Frankfurt/Main auf die Demo „Freiheit statt Angst“ gefahren.
Als wir um 12 Uhr am Demostartpunkt ankamen, war erst mal die Polizei deutlich in der Überzahl. Dies änderte sich dann bis 13 Uhr noch etwas, denn es kamen doch ca. 500 Demonstranten zusammen. In Worten: Fünfhundert! In Frankfurt selbst und einem Umkreis von 50 Kilometern wohnen ca. 5 Millionen Menschen. Von 10.000 Bürgern fühlt sich also gerade mal einer so bedroht, dass er bereit war, auf die Straße zu gehen.
Egal – es hat mich gefreut, dass hier 500 Menschen zusammenstanden, um zu demonstrieren. Auf Plakaten wurden Ärger und Wut nach außen gezeigt, auf Reden wurde klargestellt, was alles falsch läuft. Was mir jedoch völlig gefehlt hat, waren die Solidaritätsbekundungen von außen: Dies, ich reihe mich spontan mal ein, und aus 500 Personen werden tausend, oder 2.000, oder …
Aber wir waren ein „Häufchen Insider“ – blieben ein „Häufchen Insider“, und wurden mehr oder weniger freundlich angestarrt und belächelt.
Liegen wir also mit unserer Kritik richtig? Sind Bürger- und Menschenrechte überhaupt wichtig? Oder hätte eine Demo gegen den Bahnstreik, den Kita-Streik oder gegen die FIFA (Thema egal) nicht wesentlich mehr Menschen auf die Straße gebracht? Schließlich gehen Streiks bei der Bahn und den Kitas gegen die Bequemlichkeit des Bürgers, die FIFA gegen sein „allgemeines Gerechtigkeitsgefühl“. Warum aber ist dem heutigen Menschen mehrheitlich seine Bequemlichkeit so viel wichtiger als seine wichtigsten Grundrechte?
Ist es so, dass sich jeder in sein eigenes Schneckenhaus aus „mein Auto, mein Boot, mein Haus“ zurückzieht, und alles andere völlig egal ist? Ist der Protest gegen TTIP, CETA & Co oder Snowden, NSA und Vorratsdatenspeicherung wirklich nur eine Wochenend-Beschäftigung einer kleinen Minderheit? In den 70er und 80er Jahren haben wir immer gesagt, dass viele Menschen gar nicht wissen, wie wichtig Anti-Atom-Proteste oder Umweltschutz sind. Die Medien haben es ja damals auch nicht sehr hoch aufgehangen. Und außer Zeitungen, Zeitschriften, Radio und ARD/ZDF gab es nichts.
Mittlerweile glaube ich, der Mensch war zu dieser Zeit gesellschaftspolitisch wesentlich besser informiert als der heutige, der in der angeblichen „Wissensgesellschaft“ lebt. Der Überfluss an Informationen stumpft wahrscheinlich so sehr ab, dass sich jeder innerhalb dieser Informationen „seinen Bereich“ (Mode, Urlaub, Hobby oder Unterhaltung) gesucht hat, um nicht den größten Teil seiner Zeit mit Datenfilterung verbringen zu müssen.
Alternativlosigkeit bestimmt nicht nur das Handeln unserer Kanzlerin, sondern leider auch das Leben vieler Menschen in Deutschland.
Hier müsste eine neue Politik ansetzen, wir müssen versuchen, wieder Gegenmodelle anzubieten. Diese sollten aufzeigen, warum sie für einen Teil der Menschen Vorteile bringen und leicht erklärbar sein. Ganz wichtig: Wir müssen endlich versuchen, diese einfachen Themen wie die Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte aus unserer Filterbubble hinaus zu transportieren. Viele Medien nehmen die Kritik an TTIP, Vorratsdatenspeicherung oder BND-Skandal auf. Aber um Medien-Themen zu pushen, muss eine Resonanz in der Bevölkerung erkennbar sein, sonst kommen wieder Themen über Griechenland, FIFA, oder Berichte zu Illner, Jauch oder DSDS auf die Titelseiten. Und dieses “Pushen” versäumen wir komplett.
Wir verlinken Artikel in unseren Freundes-Gruppen bei Twitter, Facebook und Co, aber die Medien mit Kommentaren oder Leserbriefen zu bombardieren, dies ist uns zu viel Arbeit, oder ist unserer nicht würdig – „Dort schreiben ja nur Idioten“.
Würdig (und einfach) für uns ist das Schreiben auf Twitter und Facebook, da haben wir Zeit, da bewegen wir uns ja auch in „unserem Kreis“ und ernten dort Zustimmung. Nur Themen „nach außen“ tragen, dies erreichen wir damit nicht. Lasst uns also anfangen, hier die Redakteure zu unterstützen, die Kritik aufnehmen, oder auch die Redakteure zu kritisieren, die Überwachung und Menschenrechtsverletzungen befürworten.
Auf die Straße zu gehen, ist enorm wichtig, ebenso wichtig ist aber die Mobilisierung von Menschen außerhalb unseres „Dunstkreises“. Menschen müssen „fühlen“, dass etwas falsch läuft, sie sind nicht per se unpolitisch, aber werden dazu gemacht. Dies zu ändern ist auch Aufgabe einer Partei.
Ein Gastbeitrag von Jürgen Grothof.
Um es vorweg zu nehmen – ich stamme aus der Generation, bei der zu Demos in Hannover, Bonn oder Wackersdorf jeweils über 100.000 Menschen gegen Kernkraftwerke, Atommülllager und Wiederaufbereitungsanlagen demonstrierten. Die Organisation dieser Demos musste ohne Handys, Internet, WhatsApp und Facebook geschehen, war also wesentlich schwieriger als heute. Jetzt lebe ich im Jahr 2015. „Atomkraft – Nein Danke“ ist heute ein durch alle Gesellschaften akzeptierter Slogan, aber es gibt andere, „neue Gefahren“, die unsere Gesellschaft bedrohen.
Es ist nicht die fassbare Gefahr einer Reaktorkatastrophe – was heute passiert, finde ich weitaus schlimmer. Es ist der direkte Angriff auf unsere Privatsphäre. Wir werden beobachtet, gelenkt und – für viele unmerklich – in vorgezeichnete Bahnen geschoben und gezogen. Menschenrechte, die aus gutem Grund im Grundgesetz, aber auch in der UN-Charta ganz oben stehen, werden abgebaut oder ignoriert. Dies ist keine Bedrohung für die Menschen einer Region wie bei einem AKW, dies ist die Bedrohung aller Menschen in Deutschland und darüber hinaus.
Mit diesem Wissen und auch der nötigen Wut gegen die Herrschenden bin ich also am Samstag (30.06.2015) nach Frankfurt/Main auf die Demo „Freiheit statt Angst“ gefahren.
Als wir um 12 Uhr am Demostartpunkt ankamen, war erst mal die Polizei deutlich in der Überzahl. Dies änderte sich dann bis 13 Uhr noch etwas, denn es kamen doch ca. 500 Demonstranten zusammen. In Worten: Fünfhundert! In Frankfurt selbst und einem Umkreis von 50 Kilometern wohnen ca. 5 Millionen Menschen. Von 10.000 Bürgern fühlt sich also gerade mal einer so bedroht, dass er bereit war, auf die Straße zu gehen.
Egal – es hat mich gefreut, dass hier 500 Menschen zusammenstanden, um zu demonstrieren. Auf Plakaten wurden Ärger und Wut nach außen gezeigt, auf Reden wurde klargestellt, was alles falsch läuft. Was mir jedoch völlig gefehlt hat, waren die Solidaritätsbekundungen von außen: Dies, ich reihe mich spontan mal ein, und aus 500 Personen werden tausend, oder 2.000, oder …
Aber wir waren ein „Häufchen Insider“ – blieben ein „Häufchen Insider“, und wurden mehr oder weniger freundlich angestarrt und belächelt.
Liegen wir also mit unserer Kritik richtig? Sind Bürger- und Menschenrechte überhaupt wichtig? Oder hätte eine Demo gegen den Bahnstreik, den Kita-Streik oder gegen die FIFA (Thema egal) nicht wesentlich mehr Menschen auf die Straße gebracht? Schließlich gehen Streiks bei der Bahn und den Kitas gegen die Bequemlichkeit des Bürgers, die FIFA gegen sein „allgemeines Gerechtigkeitsgefühl“. Warum aber ist dem heutigen Menschen mehrheitlich seine Bequemlichkeit so viel wichtiger als seine wichtigsten Grundrechte?
Ist es so, dass sich jeder in sein eigenes Schneckenhaus aus „mein Auto, mein Boot, mein Haus“ zurückzieht, und alles andere völlig egal ist? Ist der Protest gegen TTIP, CETA & Co oder Snowden, NSA und Vorratsdatenspeicherung wirklich nur eine Wochenend-Beschäftigung einer kleinen Minderheit? In den 70er und 80er Jahren haben wir immer gesagt, dass viele Menschen gar nicht wissen, wie wichtig Anti-Atom-Proteste oder Umweltschutz sind. Die Medien haben es ja damals auch nicht sehr hoch aufgehangen. Und außer Zeitungen, Zeitschriften, Radio und ARD/ZDF gab es nichts.
Mittlerweile glaube ich, der Mensch war zu dieser Zeit gesellschaftspolitisch wesentlich besser informiert als der heutige, der in der angeblichen „Wissensgesellschaft“ lebt. Der Überfluss an Informationen stumpft wahrscheinlich so sehr ab, dass sich jeder innerhalb dieser Informationen „seinen Bereich“ (Mode, Urlaub, Hobby oder Unterhaltung) gesucht hat, um nicht den größten Teil seiner Zeit mit Datenfilterung verbringen zu müssen.
Alternativlosigkeit bestimmt nicht nur das Handeln unserer Kanzlerin, sondern leider auch das Leben vieler Menschen in Deutschland.
Hier müsste eine neue Politik ansetzen, wir müssen versuchen, wieder Gegenmodelle anzubieten. Diese sollten aufzeigen, warum sie für einen Teil der Menschen Vorteile bringen und leicht erklärbar sein. Ganz wichtig: Wir müssen endlich versuchen, diese einfachen Themen wie die Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte aus unserer Filterbubble hinaus zu transportieren. Viele Medien nehmen die Kritik an TTIP, Vorratsdatenspeicherung oder BND-Skandal auf. Aber um Medien-Themen zu pushen, muss eine Resonanz in der Bevölkerung erkennbar sein, sonst kommen wieder Themen über Griechenland, FIFA, oder Berichte zu Illner, Jauch oder DSDS auf die Titelseiten. Und dieses “Pushen” versäumen wir komplett.
Wir verlinken Artikel in unseren Freundes-Gruppen bei Twitter, Facebook und Co, aber die Medien mit Kommentaren oder Leserbriefen zu bombardieren, dies ist uns zu viel Arbeit, oder ist unserer nicht würdig – „Dort schreiben ja nur Idioten“.
Würdig (und einfach) für uns ist das Schreiben auf Twitter und Facebook, da haben wir Zeit, da bewegen wir uns ja auch in „unserem Kreis“ und ernten dort Zustimmung. Nur Themen „nach außen“ tragen, dies erreichen wir damit nicht. Lasst uns also anfangen, hier die Redakteure zu unterstützen, die Kritik aufnehmen, oder auch die Redakteure zu kritisieren, die Überwachung und Menschenrechtsverletzungen befürworten.
Auf die Straße zu gehen, ist enorm wichtig, ebenso wichtig ist aber die Mobilisierung von Menschen außerhalb unseres „Dunstkreises“. Menschen müssen „fühlen“, dass etwas falsch läuft, sie sind nicht per se unpolitisch, aber werden dazu gemacht. Dies zu ändern ist auch Aufgabe einer Partei.