Gernot Reipen, Vorsitzender des Kreisverbandes Bad Neuenahr-Ahrweiler, in einem Gastbeitrag zu TTIP und CETA:

250 Organisationen, Umweltverbände, Menschenrechts- und kirchliche Organisationen, Bürgerinitiativen sowie Parteien können sich nicht irren! Diese haben sich gemeinsam zu einer europaweiten Protestbewegung zusammengeschlossen, um selbstorganisiert gegen die geplanten Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA (TTIP) bzw. Kanada (CETA) zu protestieren. Auftakt war am Samstag 11.10.2014 eine Unterschriften-Aktion in zahlreichen europäischen Städten, bei der die Bevölkerung aufgefordert wurde, per Unterschrift ihren Protest gegen die geplanten Freihandelsabkommen zum Ausdruck zu bringen. Bereits im Vorfeld hatten über 450.000 Bürgerinnen und Bürger europaweit per Internet mit ihrer Unterschrift ein klares „Nein“ signalisiert.  Laut Organisatoren sollen am Aktionstag eine Viertel-Millionen Unterschriften gesammelt worden sein.

Vorausgegangen war eine europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Seit dem Vertrag von Lissabon können eine Million Bürger, aus mindestens sieben EU-Staaten, die EU-Kommission auffordern, dem Europaparlament und dem EU-Rat einen Rechtsakt vorzuschlagen. Ein erfolgreiches Beispiel hierfür war die europäische Bürgerinitiative “Right2Water” im Jahre 2013, die innerhalb weniger Wochen über 1,8 Millionen Unterschriften gegen die Privatisierung der Wasserversorgung sammeln konnte und schließlich die Pläne der EU-Kommission zur Wasserprivatisierung zu Fall brachte.

Am 12.09.14 lehnte die EU-Kommission die Bürgerinitiative gegen TTIP ab und stoppt damit diese Protestmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger.

Dabei ist ihre Begründung äußerst fadenscheinig. Sie argumentiert, dass die Verhandlungsmandate keine Rechtsakte darstellen, sondern lediglich interne Vorbereitungsakte zwischen den EU-Organen. Professor Dr. Bernhard Kempen, Leiter des Instituts für Völkerrecht an der Universität Köln, kam in seinem Gutachten zu einer völlig anderen Beurteilung. Eine EBI gegen TTIP und CETA sei sehr wohl zulässig. Würde man der Rechtsauffassung der EU-Kommission folgen, so bedeutet dies in letzter Konsequenz, dass der Bevölkerung bei der Ausarbeitung von internationalen Verträgen jeglicher Art die Hände gebunden wären. Ein Affront gegen demokratische Entscheidungsprozesse und Bürgermitbestimmung.

Die Piratenpartei Deutschland war eine der ersten Parteien, die auf die Gefahren von TTIP und CETA hinwiesen. Besonders die intransparente Vorgehensweise, ohne Beteiligungen von Umweltverbänden, Verbraucherschutz- und Bürgerrechtsorganisationen, als auch die einseitige Stärkung von Wirtschaft und Unternehmen, widerspricht elementar ihren politischen Grundsätzen. Besorgniserregend ist auch die Tatsache, dass trotz zunehmender negativer Einstellung der Bevölkerung in den europäischen Ländern, insbesondere in Deutschland, keinen Deut von der intransparenten Verhandlungsweise abgewichen wird. Nach wie vor sind alle Verhandlungsgespräche, Positionspapiere und Dokumente geheim und selbst für Volksvertreter kaum oder nur begrenzt zugänglich. Es stellt sich die berechtigte Frage nach dem Warum. Schließlich sollten doch alle Wirtschaftsunternehmen und Großkonzerne ein großes Interesse besitzen, im Einklang und unter Zustimmung ihrer Kunden Waren zu produzieren und zu verkaufen. Oder geht es hier um weit aus mehr?

Die Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel sagte 2011: „Wir leben ja in einer Demokratie und sind auch froh darüber. Das ist eine parlamentarische Demokratie. Deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments. Insofern werden wir Wege finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also dass sich auf den Märkten die entsprechenden Signale ergeben.” Aus diesem Satz entlehnt sich das Fast-Unwort 2011 „marktkonforme Demokratie“. Seit dieser Zeit wird nun gerätselt, was damit konkret gemeint ist. Wir brauchen da nicht lange um den „heißen Brei“ zu reden. Gemeint ist, die Demokratie muss sich so gestalten, dass die Wirtschaft wettbewerbsfähig ist. Im Klartext bedeutet dies: „Demokratische Entscheidungsprozesse dürfen nicht dazu führen, dass Volkswirtschaften benachteiligt, eingeschränkt und nicht wettbewerbsfähig werden. Wirtschaftsinteresse vor Volksinteresse, Profit vor Demokratie, Investorenschutz vor Verbraucherschutz“.

Welche Dimensionen und Gefahren dieser neoliberale Gedanke auf unsere Gesellschaft, besonders auf ihr soziales Gefüge, in sich birgt, ist in seiner Gesamtheit und Komplexität noch gar nicht abzuschätzen. Unbestreitbar aber werden sich diese „neuen Märkte“ bis auf die untersten Ebenen unserer Wirtschaft auswirken, vom Familienbetrieb bis zum Kleinunternehmen, wie auch auf allen Ebenen unseres Staatswesen, bis hin zu den Kommunen. Hier werden in Zukunft Global Player und mächtige Konzerne das Sagen haben. Schließlich wird es jeden einzelnen von uns treffen.

Gerade deshalb schlagen 250 Organisationen europaweit Alarm. Die „selbstorganisierte europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA“ hat mit ihrer Unterschriftensammlung gerade erst begonnen! Genau ein Jahr wird sie diese Protestaktion fortführen. Alle Mitglieder der Piratenpartei Deutschland sind aufgefordert diesen Bürgerprotest durch konsequente Beteiligung, Infostände und weiteren Aktionen zu unterstützen, gemäß unserem Slogan: AUFBRECHEN, KLARMACHEN, ÄNDERN!

Wir Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, ein klares Zeichen zu setzen. Demokratie darf sich nicht wirtschaftlichen Interessen beugen. Bürgerrechte gehen vor Wachstum und Wettbewerb. Die Vielfältigkeit, Flexibilität und nationale Eigenständigkeit unserer Wirtschaft, unserer Arbeitswelt und unsere Standards in Umwelt, Lebensbedingungen, Ernährung, sozialen Leistungen und Verbraucherschutz sollen auch in Zukunft erhalten bleiben und nicht aufgrund unersättlicher Einflussnahme international agierender Investoren, Banken, Welt- und Großkonzernen geopfert werden. Wir fordern deshalb alle Bürgerinnen und Bürger auf, per Unterschrift ihren Protest gegen die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA zu leisten.

 

Der Artikel erschien im Original in der Flaschenpost – dem Nachrichtenmagazin der PIRATEN.